TRIBAL STYLE
Tribal Style (früher: American Tribal Style), entstanden an der amerikanischen Westküste, gilt als Unterform des orientalischen Tanzes, hat sich aber von diesen Wurzeln so stark emanzipiert, dass er von vielen als eigenständige Tanzform betrachtet wird. Am Tribal Style fällt als erstes der Kostümstil auf: die weiten Teller- oder Stufenröcke, Turbane und Bommelgürtel erwecken den Eindruck eines authentischen Folkloretanzes aus dem Nahen oder Mittleren Osten. Tatsächlich ist Tribal Style aber ein reiner Fantasietanz, der sich nur in seiner Stilistik und seinen Bewegungen an zahlreichen Folklore-Tänzen bedient. Tribal Style hat aufgrund seines Phantasiecharakters und seiner großen Wandelbarkeit eine Vielzahl von Varianten hervorgebracht (Indian, Afro, Flamenco oder Gothic Tribal, um nur einige zu nennen) und ist der Vorläufer einer Entwicklung, die heute allgemein als Tribal Fusion bezeichnet wird. BEWEGUNGEN Im Vordergrund des Tanzes steht die Würde der Tänzerin, ihr kraftvolles Auftreten als Frau. Dementsprechend verlangt Tribal Style eine aufrechte Körperhaltung mit stolz herausgestellter Brust und hoch erhobenem Kopf. Die Bewegungen sind bewusst einfach gehalten, aber sie wirken durch ihre erdige Kraft, die durch die an der Hüfte befestigten Bommel noch optisch verstärkt wird. Häufig werden die Arme auf Schulterhöhe oder höher gehalten, wodurch die Tänzerin zusätzlich größer und ehrfurchtgebietender wirkt. Der originale Tribal Style sieht vor, dass alle Drehungen nach links ausgeführt werden und dass die Hauptimpulse von der rechten Hüfte ausgehen. Um bei längerer Ausübung des Tanzes eine muskuläre Dysbalance zu vermeiden, sollte zumindest im Training auch spiegelverkehrt getanzt werden. CUES UND GRUPPENIMPROVISATION Entscheidend für den Tribal Style ist der Stammescharakter des Tanzes. Tribal wird immer in der Gruppe getanzt. Gegenseitige Unterstützung und das intensive Gemeinschaftserlebnis sind das Hauptziel, mehr noch als die Bühnenwirkung oder die tänzerische Perfektion. Entsprechend gibt es viele Formationen, in denen die Tänzerinnen "nach innen" tanzen und dem Publikum den Rücken zudrehen. Auch in allen anderen Formationen wird darauf geachtet, dass alle Tänzerinnen sich gegenseitig sehen können – so ist der "Chorus", die Standardformation, eine halbmondförmige Reihe, die allen Frauen gute Sicht aufeinander ermöglicht. Dieser Gruppenbezug wird durch das Hauptcharakteristikum des Tribal Style bedingt: Gruppenimprovisation und das Cue-System. Im klassischen Tribal gibt es keine Choreographie; jede Bewegung wird in der Gruppe improvisiert. Damit die Tänzerinnen die Bewegungen synchron ausführen können, verständigt sich die Gruppe mit kleinen, unauffälligen Geheimzeichen – sogenannte "Cues". Die Tänzerin links vorne (die "Führungsfrau") gibt die Zeichen, wobei die Führung in der Regel in einer Aufführung mehrmals wechselt. Natürlich müssen die Tänzerinnen durch dieses System ständig aufeinander achten. Das führt zu einem intensiven Rapport und großer Verbundenheit innerhalb der Gruppe. Häufig schweißt das gemeinsame Tanzerlebnis die Tänzerinnen auch außerhalb der Bühne, im Privatleben, zusammen. Nicht umsonst bezeichnet man daher eine Tribal-Tanzgruppe als Tribe oder Stamm. Einer der interessanten Effekte des Cue-Systems ist, dass unterschiedliche Stämme, die sich begegnen, sofort miteinander tanzen können. Bei Tribal-Happenings und -Festen wird häufig spontan miteinander getanzt; der Tribal Style bildet hier ein Element, das verbindet und Gemeinschaft erzeugt. KOSTÜM UND SCHMUCK IM TRIBAL STYLE Das Kostüm des Tribal Style kann man nur als opulent bezeichnen. Es hat sich als bewusster Gegensatz zur leichtbekleideten, neckenden Flitter-Erotik des Cabaret-Bauchtanzes entwickelt und soll den Blick auf die wesentlichen Körperteile des Tanzes richten, insbesondere Hüfte und Bauch. Das Kostüm ist der ganze Stolz einer Tänzerin und wird von ihr selbst gefertigt. Es wird immer wieder verbessert und erweitert – "das Kostüm wächst mit der Tänzerin". Die meisten Schnittmuster sind sehr einfach gehalten, so dass sie auch von unerfahrenen Näherinnen leicht angefertigt werden können. Beim Gestalten der Kostüme sollte darauf geachtet werden, den Stammescharakter zu erhalten. Deshalb sollten bei allem Individualismus trotzdem noch bestimmte Kostümmerkmale innerhalb des Stammes bei allen Tänzerinnen gleich sein. Die Tradition verlangt beim Tribal Style die Verwendung von Naturstoffen wie Baumwolle oder Leinen, in ruhigen Farbtönen. Künstliche, glatte Stoffe und grelle Farben wirken zu modern und industriell und sind daher bei Tribal-Tänzerinnen verpönt. Grundlage des Tribal-Kostüms sind eine Pluderhose, die die Beine völlig verhüllt, und ein weiter, fußlanger Teller- oder Stufenrock, der die Drehungen betonen soll. Darüber wird ein Gürtel mit dicken Bommeln oder Filzstreifen getragen, der die Hüftbewegung verstärkt. Der Bauch wird freigelassen oder mit einem enganliegenden Body bedeckt. Darüber trägt man am Oberkörper ein Choli-Obertei mit halben Ärmeln, das indischen Kleidungsstücken nachempfunden ist und am Rücken mit zwei Bändern geschlossen wird. Über dem Choli kann noch ein bestickter Münz-BH getragen werden; manche Stämme ersetzen das Choli durch eine Miederweste, die über dem BH getragen wird und die Brüste freilässt. Der Turban verdeckt das Haar und ermöglicht den Folgefrauen, das Gesicht der Führungsfrau gut zu erkennen – was für das Erkennen von Cues hilfreich ist. Häufig hängt vom Turban hinten ein Schleiertuch herunter, das an der linken Seite in den Gürtel gesteckt wird. Dies lässt die rechte Seite für die Cues frei. Das Grundkostüm kann durch große Mengen Schmuck verziert werden. Tribal-Tänzerinnen verschmähen den massengefertigten, dünnen Bauchtanzschmuck und ziehen schweren, traditionellen Silberschmuck vor. Die meisten Stücke stammen aus Afghanistan. Mittlerweile gibt es mehrere Händler, die sich auf solchen Schmuck spezialisiert haben; im Tanzstudio und im Shop kann man ebenfalls afghanische Schmuckstücke erstehen. |
Requisiten Training: Sporthose und Top, Hüfttuch Requisiten Performance: weiter Teller- oder Stufenrock, Turban, Schmuck, Bommelgürtel, Schleiertuch, Choli-Oberteil, Choker No-Go: künstliche Materialien, Pannésamt, Glitter, Karnevalsstoffe, Bauchtanzflitter |
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SLOW MOTION UND RITUAL Die klassische Tribal-Performance gliedert sich neben dem improvisierten Hauptteil in den langsamen Part ("Slow Motion" oder Slo-Mo) und das Ritual. Während der langsame Teil einzelne Bewegungen sozusagen in Zeitlupe demonstriert und damit anderen Stämmen das Repertoire des Stammes zeigt, dient das Ritual der Einstimmung auf den Raum, das Publikum und das gemeinsame Tanzen. |
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FORMATIONSARBEIT Die Standard-Halbmond-Formation gewährt jeder Tänzerin optimale Sicht auf die Führungsfrau. Für den Anfang ist sie wegen ihrer Einfachheit die Formation der Wahl. Fortgeschrittene Stämme wechseln während eines Auftritts oder einer gemeinsamen Session mehrmals die Formation – einerseits der Abwechslung halber (für das Publikum), zum anderen aber auch, um das Gruppenerlebnis zu steigern. Ein gut eingespielter Stamm läuft bei Formationen wie ein Uhrwerk; hier ist noch mehr als beim Absolvieren der Cues auf die anderen Tänzerinnen zu achten und Rücksicht zu nehmen. Nahezu jeder Stamm hat eigene Formationen und eigene Cues, um diese anzukündigen. Relativ weit verbreitet sind Kreisformationen (einfach oder doppelt, nach innen oder außen gewandt) oder "Mauern", bei denen sich die Tänzerinnen an den Händen fassen und die Cues durch Händedruck weitergeben. Manchmal wird die Formation in zwei Reihen "gesplittet", die jeweils eine eigene Führungsfrau haben, bis sie sich wieder vereinigen. Wenn sich zwei Reihenformationen ineinander und auseinander bewegen, spricht man vom "Fading", eine sehr effektvolle Kombination. |
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REQUISITEN Schon bevor der Begriff "Tribal Style" aufkam, hatten die Vorläufer des Stils – z.B. Bal Anat oder die San Francisco Classic Dance Troupe – bereits Fingerzimbeln oder Kashiklar (Klanglöffel) zur Begleitung verwendet. Zimbeln haben sich als Standardrequisit etabliert. Dies unter anderem, weil sie die Tänzerinnen bei Live-Performances intensiver mit den Musikern verbinden und so den Gemeinschaftsgedanken des Tribal Style weiterführen. Der klare, nachhallende Klang von guten Zimbeln bewegt sich auf einer Frequenz, die von wenigen anderen Instrumenten erzeugt wird. Entsprechend klar hört man Zimbeln über nahezu jede Art von Musik hinweg. Kashiklar neigen wegen ihres trocken-hölzernen Klanges dazu, in der Musik unterzugehen, und sind deshalb eher für kleine Besetzungen interessant. Zimbeln werden paarweise an beiden Händen getragen und mit den Fingern gegeneinander geschlagen. Ihr Vorteil ist, dass sie das Geben von Cues kaum beeinträchtigen. Da das gleichzeitige Anschlagen und Ausführen der Tanzbewegungen Konzentration erfordert, werden Zimbeln in Tribal-Kursen häufig erst im Fortgeschrittenenteil angewendet. Es spricht aber auch einiges für den frühen Anfang mit Zimbeln – eine frühe Gewöhnung kann die Integration von Tanzbewegung und Zimbelanschlag erleichtern und zu einem besseren Rhythmusgefühl führen. Säbel – seltener Speere oder Dolche – werden im Tribal Style gerne als Requisiten verwendet, weil sie archaische Kraft und Selbstbewusstsein suggerieren. Der Säbel wird zum Teil in nachgeahmten Fechtbewegungen geschwungen oder auf dem Turban balanciert, um Gleichgewicht und Bewegungsisolation zu demonstrieren. Dies fällt im Tribal Style leichter als im klassischen orientalischen Säbeltanz, da die Falten des Turbans eine breitere und damit stabilere Auflagefläche bieten als das Stirnband der orientalischen Tänzerin. Dennoch bleibt das Balancieren eine fortgeschrittene Technik, die sehr gute Körperbeherrschung verlangt. Da der Säbel in der Hand das Geben von Cues beeinträchtigt und auf dem Kopf die klassischen Armbewegungen des Tribal behindert, haben verschiedene Stämme unterschiedliche Lösungen gefunden. Einige verwenden den Säbel in einem abgewandelten Slow Motion-Part, der ohne Cues auskommt, und legen ihn danach ab. Andere choreographieren einen eigenen Säbelpart (auch wenn dies für Puristen "nicht Tribal genug" ist); der Königsweg ist natürlich das Erfinden eigener Bewegungen und dazugehöriger Cues, die mit dem Säbel gegeben werden können. |
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OLD SCHOOL TRIBAL STYLE - NEW SCHOOL TRIBAL STYLE Gerade durch den Phantasiecharakter des Tribal Style und seine Unabhängigkeit von "kultureller Authentizität" ist es beinahe von Beginn an zu einer großen und kreativen Zahl von Weiterentwicklungen gekommen. Kein Tanzstamm verwendet genau dasselbe Repertoire wie der andere, und eigene Bewegungen zu entwerfen stellt einen großen Teil der kulturellen Identität eines Stammes dar. Einerseits ist dies ein Faktor in der ständigen Verbesserung und Erweiterung des Tanzstils, andererseits gibt es Befürchtungen, Tribal Style könne den gemeinsamen Nenner verlieren und sich in einer unüberschaubaren Zahl von Einzeltänzen verlieren. Deshalb hat es Bestrebungen gegeben, den ursprünglichen Stil festzuschreiben und damit zu konservieren. Caroleena Nericcio, eine der drei Gründerinnen des Stils, ließ sich die ursprünglichen Bewegungen und Cues des Tribal Style ihrer Gruppe Fat Chance Bellydance (FCBD) rechtlich schützen. Sie regte an, diesen Kanon als Standard zu definieren und alle anderen Entwicklungen lediglich als Varianten zu betrachten. Nach ihrer Terminologie gilt ihr originales FCBD-Format als "Old School" und alle Abweichungen in Kostüm, Technik, Cues und Bewegungsrepertoire als "New School" oder "New Style" Tribal. Inwieweit dies moderne Entwicklungen wie Tribal Fusion mit einschließt, ist nicht ganz geklärt. Einige Tänzerinnen folgen Caroleenas Ansatz und gehen so weit, die Bezeichnung "American Tribal Style" entweder nur für das Old School-Format oder für die Repertoires der prominentesten drei Gruppen der ersten Stunde gelten zu lassen: Fat Chance, Black Sheep Bellydance und Gypsy Caravan. Da nach dieser Auffassung alle weiteren Entwicklungen des Tribal Style nicht mehr als "American Tribal Style" bezeichnet werden können, sind zur Unterscheidung zahlreiche Bezeichnungen im Umlauf - GTS (German Tribal Style), GTI (German oder Group Tribal Improvisation), ITS (Improvisional (sic), Improvised oder Inspired Tribal Style), TGI (Tribal Group Improvisation), ATI (American Tribal Improv), GIT (Group Improv Tribal) oder SGI (Synchronised Group Improvisation). Derzeit scheint sich die Bezeichnung "ITS" durchzusetzen. Gegner dieser Unterteilung führen an, dass die willkürliche Trennung zwischen einem "richtigen" oder "ursprünglichen Stil" und "allen anderen Stilen", zwischen "wir" und "die anderen", eine künstliche Barriere für das Miteinander und den Austausch unter den Stämmen errichte. Die ursprüngliche Terminologie "American Tribal Style" (als Sammelbegriff) beziehungsweise "ATS nach FCBD- / Black Sheep- / ... -Format" (für die einzelnen Stile) ist natürlich gewachsen und wurde von der überwiegenden Mehrzahl der Tänzerinnen akzeptiert. Mit dem Aufkommen der neuen Begriffe befürchten die Kritiker, dass regionale, sich gegenseitig widersprechende Terminologien die Kommunikation erschweren werden. Inwieweit das der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Letztlich ist die Unterscheidung zwischen "Old" und "New School" zwar geschichtlich interessant, besitzt aber bezüglich des heute praktizierten Tribal Style keine wirkliche Relevanz. Das liegt daran, dass es nahezu keinen Stamm gibt, der das ursprüngliche FCBD-Format in seiner Reinform anwendet – selbst das Repertoire von Fat Chance Bellydance hat sich weiterentwickelt und unterscheidet sich heute zum Teil wesentlich von seinen Ursprüngen. Somit ist alles, was heute als Tribal Style getanzt wird, im weitesten Sinne als "New School" zu bezeichnen. Unabhängig, zu wessen Meinung man neigt: Für eine Schülerin ist es eigentlich nur wichtig zu wissen, dass unterschiedliche Bezeichnungen existieren, und dass man gegebenenfalls nachfragen muss. |